NEUE ENTSCHIEDENHEIT
… ein Impuls von Br. Bernd Kober

Titelbild für LF-Magazin Extrakt_Neue Entschiedenheit_Br. Bernd

NEUE ENTSCHIEDENHEIT … ein Impuls von Br. Bernd Kober

Neue Entschiedenheit – Das Verhältnis des Franz von Assisi zur Körperlichkeit des Menschen war kein einfaches. Es war sehr zeitbedingt. Trotzdem lohnt sich ein Innehalten.

„Wir brauchen uns nicht sorgen“ – mit diesem Eindruck durfte ich aufwachsen. Und dieser Eindruck scheint im Nachhinein nicht nur eine dem Kindesalter geschuldete Naivität gewesen zu sein. Es war eine Zeitstimmung angesichts der Wiedervereinigung Deutschlands, der Abschaffung der Wehrpflicht und in Zeiten des Wohlstands, in dem breite Massen begannen, nicht nur einmal jährlich den wohlverdienten Urlaub nicht zuhause, sondern in fernen Ländern zu genießen; eine Zeitstimmung freilich, in einem nur sehr kleinen Teil dieser Erde. Diese Sorglosigkeit ist enttäuscht, sie war und musste eine Täuschung sein. Das Gute, der Friede und der sogenannte Sozialstaat setzen sich nicht von selbst ungebremst durch. Verantwortungsbewusstsein für das, was mich und die Gemeinschaft trägt, ist keine angeborene Haltung. Kultur entsteht nicht von selbst. Es braucht Gestaltungs- und Ordnungskräfte, da[1]mit Bahnen geschaffen werden, in denen das menschlich Sinnstiftende zu wachsen vermag. Für manche und manchen ist das in unseren Breiten sehr ungewohnt.

Das Gute entsteht nicht von selbst

Die geistlichen Lehrerinnen und Lehrer aller Jahrhunderte behalten Recht, wenn sie immer wieder das Wort vom „inneren Kampf“ des Menschen gebrauchen. Auch wenn diese Worte scheinbar altbacken klingen: Damit das Gute entsteht – auch im eigenen Leben – braucht es Mut, Entschiedenheit, Disziplin, Verzicht und nüchterne Wachsamkeit. Im ungebremst feiernden Rausch und Taumel der Emotionen bricht sich das Gute nicht von selbst Bahn.

Wenn ich in diesen Zeilen den Blick auf Franz von Assisi richte und sein Verhältnis zum Motto unseres Magazins: „fleischlich“ – dann braucht es diese gedankliche Einstimmung, um das Verhältnis des Franziskus zum Fleischlichen, zu seinem Leib und zur Sinnlichkeit des Menschen einzuordnen. Franziskus „knechtet“ seinen Leib. Trotz schwerer Krankheit fastet er in schon damals unvernünftigem Maße – gegen jede Mahnung anderer. Gegen sexuelle Versuchungen peinigt er sich mit Dornen und Kälte. Er warnt eindringlich seine Brüder vor zu großer Nähe zu den Schwestern. „Zeitbedingt“ – so sagen wir, wenn wir dies wahrnehmen. In einer Zeit, in der rigides Herrschen in Staat und Kirche, in Familie und Erziehung das Übliche war, wird auch im Verhältnis des Menschen zu sich selbst rigide geherrscht und unterdrückt – bis zur Anwendung von Gewalt. Die eigene Gesundheit zu schädigen, sich selbst zu geißeln oder menschliche Begegnung grundsätzlich zu verbieten sind keine heute zeitgemäßen spirituellen Formen geistlichen Lebens

Franziskus hat zwei Gesichter

Bei alledem kennen wir auch die sensible Seite des Heiligen aus Assisi. In seiner Ordensregel ermutigt er die Brüder, sich einander anzunehmen, wie eine Mutter sich ihrer Kinder liebevoll und zärtlich annimmt. Sensibel und weitherzig wendet er selbst sich einem Bruder zu, der das vorgeschriebene Fasten einfach nicht halten kann – und er bricht mit ihm gemeinsam die Fastenregel und isst. Mit großer Sinnenfreude nimmt Franziskus die Schöpfung wahr, als Schwester und Bruder preist er sie und die gute Buntheit alles Geschaffenen. Und nicht zuletzt trägt er in seinen letzten Lebenstagen in sein Testament ein, was ihn bekehrt hat: die Begegnung mit dem Aussätzigen, dem aus der Gemeinschaft der Menschen ausgestoßenen. Franziskus, der stolze und reiche Kaufmannssohn, lässt sich herab und schenkt diesem Armen, Einsamen seine Nähe – er umarmt ihn, „küsst ihn“, so schreiben manche Biographen, und schenkt ihm Ansehen. Und wir kennen einen Franziskus, der eine gute Nähe zu seiner geistlichen Schwester Klara pflegt und sich in seiner Todesstunde noch der Zuwendung einer befreundeten römischen Dame versichert.

Ist Franziskus ein Heiliger mit zwei Gesichtern, wenn es um sein Verhältnis zum „Fleischlichen“ geht? Selbstverständlich, möchte ich antworten. Franziskus hat mehrere Gesichter, wie wir alle mehrere Gesichter haben. Je nach Lebenssituation zeigt sich das eine oder das andere. Es gibt herausfordernde Zeiten, in denen Entschiedenheit und Abgrenzung stärker sind. Und es gibt Zeiten, in denen es leicht ist, weitherzig zu sein. Schwierig wird es, wenn wir aus einzelnen, speziellen Lebenssituationen allgemein und immer gültige Handlungsweisungen ableiten. Franz von Assisi war ein extremer Mensch. Das bildet sich auch ab, wenn wir das Verhältnis des Heiligen zur „fleischlichen“ Seite des Menschen bedenken. Die Skepsis und manches Mal sogar Angst vor dem Körperlichen, die der Frömmigkeit seiner Zeit innewohnte, spiegelt sich auch in seinem Handeln. Die positive und liebevolle Sicht auf Mensch und Schöpfung ist eine zweite Seite, die wir heute sicher eher verstehen und nachempfinden können.

Achtsamkeit und Entschiedenheit

Bei aller Radikalität des Franz von Assisi, die unser Unverständnis wachruft, ist es doch auch seine Entschiedenheit, die darin zum Ausdruck kommt: Die Entschiedenheit sein Leben und seine Beziehungen, seine Sexualität und den Genuss guter Dinge so zu gestalten, dass er es vor Gott und vor sich selbst verantworten kann. Franziskus an dieser Stelle zu imitieren, kann keine echte Möglichkeit sein. Wohl aber kann es eine Möglichkeit sein, achtsam zu werden. Es kann eine Möglichkeit sein, sich zu fragen, was der Wesenskern meines Lebens ist, was das Ziel dessen ist, was ich tue, und welche Entschiedenheit und auch Disziplin dazu nötig sind. Wie jede Kunst die Beherrschung und Übung der dazu notwendigen Fertigkeiten und Materialien verlangt, so auch die Lebenskunst. Nach Zeiten großer Freiheit und Freizügigkeit in unseren Breiten, gilt es meines Erachtens, den Freiheitsbegriff neu beleuchten. Sich einfach zu nehmen, was mir scheinbar zusteht, ohne die Bedürfnisse des anderen zu achten, ist keine christliche Option. Womöglich ist es Zeit, Ziele und Entschiedenheiten neu zu definieren – ohne in einen Extremismus zu verfallen. Die Liebe zum Leben und zur Lebendigkeit, zur Vielfalt und zur Einzigartigkeit jedes Geschöpfes – auch der eigenen Leiblichkeit – sind immer der wichtigste Maßstab eines Handelns aus dem Geist Jesu und auch des hl. Franz.

 

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