Das Fremde … ein Impuls von Br. Jens Kusenberg
Das Fremde ist unheimlich im eigentlichen Wortsinn. Da ist etwas oder jemand, das und der nicht in mein Heim passt. Etwas, das nicht bei mir zu Hause ist. Jemand, der von außen kommt. Wie der Mann auf dem Titelbild des neuen Liebfrauenmagazins.
Es ist ein Ausschnitt aus einem gotischen Bild in unserer Liebfrauenkirche. Er schaut von oben. von einer Brüstung, herab auf etwas, das sich unten tut. Seine Gesichtszüge drücken Skepsis aus. Was passiert da? Der Blick zu ihm selbst wird wohl eine ähnliche Frage provozieren: Da schaut jemand aus der Ferne zu, ohne, dass er selbst damit etwas zu tun hätte. Der Mann mit dem langen Bart und der großen Kapuze ist selbst fremd und schaut auf etwas Fremdes. Zwei Welten, die sich nur in diesem Blick kurz kreuzen, sonst aber nichts gemeinsam haben. Unbehaust. Unheimlich.
Unheimlich und interessant
So ist das Fremde auch definiert. Da ist etwas Unbekanntes. Jemand kommt von weit her, aus einer ganz und gar anderen Umgebung. Die Begegnung ist immer etwas distanziert und vorsichtig tastend. Man muss sich das erst anschauen. Das Unheimliche muss erst erschlossen und erkannt werden. Auf der einen Seite ist es damit erst einmal mit Vorsicht zu genießen. Wer weiß was das ist? Auf der anderen Seite reizt es zu Entdeckerlust, denn etwas Fremdes weitet auch immer mein Bild von der Welt, vergrößert meinen Horizont und eröffnet mir Türen, die ich noch nicht kannte. Das Fremde ist heute zu einem allgemeinen Gefühl geworden. Die Stadt Frankfurt ist dabei ein gutes Beispiel dafür: Die anonyme Großstadt, in die jeden Tag nochmals so viele Menschen kommen wie sie Einwohner hat, ist Revier für das Unbekannte. Es gibt in der Stadt Welten, die sich nicht treffen und die sich argwöhnisch gegenüberstehen. In den Wohnblocks kennt niemand den Nachbarn. Es gibt keine Verschnaufpause im Lauf des Tages und somit ist Annäherung schwierig. Was ist der gemeinsame Nenner? Was verbindet all diese Milieus, Menschen und Welten? Es bleibt ein Geschmack von Fremde. Dieses Gefühl der Fremde vielleicht. In Frankfurt leben viele Nationen nebeneinander. Es gibt viele Weltsichten. Und auch viel Verzweiflung darüber, dass man nie ankommt, dass man immer fremd bleibt. Nicht nur die Außenwelt ist fremd, und zwar so, dass es unheimlich ist. Auch ich selbst bin mir fremd. Ich bin selbst wie eine Burg, deren Räume, Kammern und Winkel ich nicht alle sehe und kenne.
Globalisierung
Die Welt wird unübersichtlicher. Was Theresa von Avila noch als Abenteuer des Glaubens in ihrer Seelenburg beschrieb, wird bei Sigmund Freud zu einem unüberschaubaren Labyrinth: Nicht nur die Welt da draußen, der andere, das Fremde sind undurchschaubar, sondern ich bin mir selber fremd, weil ich mich nicht ganz verstehen kann. Zu viele unbewusste Impulse schlummern in mir, als dass ich mein Handeln völlig unter Kontrolle hätte. Ich bin nicht mehr Herr oder Frau im eigenen Haus. Das verstärkt sich noch paradoxerweise in einer Welt, die durch Globalisierung und neue Medien immer kleiner wird. Anstatt die Welt besser in den Griff zu bekommen, wird sie durch den ständigen Zugriff auf alle Informationen unübersichtlicher und fremder. Gab es vor einigen Jahrzehnten sehr wenige Weltreisende, ist die Welt heute nur noch einen Mausklick entfernt und für jeden greifbar.
Christus wird selbst fremd und gibt Heimat
Die Stärke des Christentums lag immer darin, die Fremde zu überwinden und Heimat zu geben. Gott, so schreibt es Paulus, hat sich selbst zu einem Fremden gemacht, um den Menschen eine Heimat zu geben, um sie nach Hause zu bringen. Er ist aus dem Himmel oder der Transzendenz aufgebrochen, wurde Mensch, ein Heimatloser und ein Verbrecher am Kreuz, um uns Nähe und Geborgenheit zu geben.
Gott kennt alle Fremde und will sie heilsam überwinden (vgl.: Phil 2, 5-11 und Eph 2, 11-22). In dieser Beheimatung in Christus gelang es Menschen immer wieder, die Fremde zu überwinden. Der andere ist nicht länger der Unheimliche, sondern der Bruder oder die Schwester. Das Christentum entwickelte eine nie gekannte Inklusionskraft, denn die Fremden wurden aufgenommen, eben durch das Bewusstsein, dass Gott sich selbst fremdgemacht hat, und alle Menschen immer irgendwo fremd sind. Und darin sind alle Geschwister. In diesem Sinn machten sich sofort Missionare und Missionarinnen auf den Weg. Das ist sogar eine der Wurzeln des Christentums: Wanderprediger zogen herum und verkündeten das Evangelium. Für damalige Verhältnisse legten sie unglaubliche Wege zurück: Paulus wollte von Jerusalem bis nach Spanien reisen. Der Apostel Thomas soll über den heutigen Irak bis nach Indien gelangt sein. Sie stießen in die Fremde vor, weil alles Unheimliche in die Erlösung Christi mit hineingenommen werden soll. Deswegen konnte das Fremde angenommen werden und war nicht mehr länger scharf abgegrenzt vom Gewohnten.
Eine Chance
Der Mann mit dem langen Bart und der auffälligen Kapuze bleibt der Szene unterhalb vielleicht doch ein Fremder. Ja, natürlich gibt es viel Fremdes, das unheimlich ist und Angst macht. Vielleicht auch eben so viel, das exotisch und spannend ist. Beide Seiten sind im Fremden. Aber eben auch der tiefe Gedanke, dass Gott sich selbst zu einem Fremden in Jesus gemacht hat. In ihm haben wir eine Chance das Fremde anzunehmen, weil wir keine Angst mehr zu haben brauchen.
👉 Lesen Sie weitere interessante Beiträge in unserem Liebfrauen-Magazin zum Thema “Das Fremde”
👉 Und besuchen Sie auch die Deutsche Kapuzinerprovinz