Frankfurt bekommt ein Herzstück zurück

Ernst Gerhardt "Frankfurt bekommt ein Herzstück zurück"

FRANKFURT BEKOMMT EIN HERZSTÜCK ZURÜCK

Ernst Heinz Gerhardt wurde 100 Jahre alt. Auch wegen Liebfrauen.

Ernst Heinz Gerhardt, der ehemalige Frankfurter Stadtkämmerer und Kirchendezernent, pflegte stets einen guten Kontakt zu Liebfrauen. Im Gespräch erzählt er, warum das Kloster in der Stadt so besonders ist. Eine Rückblende zu seinem 100. Jubiläumstag

Ein Interwiew von Bruder Christophorus Goedereis

Herr Gerhardt, wie geht es Ihnen?
Mir geht es hervorragend. Ich muss zwar mittlerweile einen Rollator benutzen, aber ich gehe jeden Tag in mein Büro, um zu arbeiten. Ich bin jetzt siebenundbneunzig Jahre alt – und nun will ich auch noch hundert werden (lacht)!

Welche Kindheitserinnerungen haben Sie an die Liebfrauenkirche?
Oh, die gehen weit zurück bis in die Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg. Da war sonntagnachmittags, ich glaube um 17 Uhr, immer so eine große Predigt. Da hat mich meine Mutter oft hingeschleift. Nicht immer zu meiner großen Freude. Ich war damals eifriger Pfadfinder und nicht so fromm wie die Leute in Liebfrauen.

Erinnern Sie sich noch an die Zerstörung der Frankfurter Altstadt im März 1944?
Ja natürlich, auch wenn ich in jenen Tagen nicht in Frankfurt war. Ich war seinerzeit beim Militär in Kiel stationiert. Aber wenige Tage nach den März-Bombardierungen war ich dann daheim (die Stimme kommt ins Schwanken, bekommt feuchte Augen). Und dann habe ich den ganzen Jammer hier mitbekommen. Fürchterlich! Ich bin auf den Römerberg. Dort war ein riesiger Haufen von Trümmern. Ich bin hinaufgestiegen und von oben hat man die ganze Ruine der Altstadt mit einem Blick sehen können. Es war verheerend. Ein Bild des Grauens!

Können Sie sich auch noch an die zerstörte Liebfrauenkirche erinnern?
Nein, ehrlich gesagt, nicht konkret. Es lag ja alles danieder. Und ich selber bin ja erst 1956 in die Politik eingetreten. Mit dem Wiederaufbau der Liebfrauenkirche habe ich somit nichts zu tun. Aber in den fünfziger Jahren waren wir alle bemüht, die Dotationskirchen wiederaufzubauen (siehe Infokasten). Das alles zog sich lange hin. Aber die Dotationskirchen waren immer schon mein Steckenpferd gewesen.

1956 wurden Sie Stadtverordneter, von 1978 bis 1989 waren Sie Stadtkämmerer und Kirchendezernent. Aber um die Dotationskirchen haben Sie sich schon vorher gekümmert?
Ja, genau! Kirchendezernent im Herzen war ich schon vorher. Einer meiner Vorgänger, Stadtkämmerer und Kirchendezernent Klingler, den habe ich mit angetrieben. Der hat mich öfter gebeten, bei Verhandlungen mit Kirchen hinzuzukommen. So war das damals.

Was denken Sie, wenn Sie heute an den Dotationskirchen vorbeigehen?
Da gehe ich mit großer Dankbarkeit dran vorbei und denke: Das haben wir doch ganz ordentlich hingekriegt. Ich versuche dann als guter Katholik, nicht allzu stolz zu werden und mit geschwellter Brust vor den Dotationskirchen zu stehen. Aber im Ernst, der Wiederaufbau nach dem Krieg, das war schon eine Leistung. An den Wortbestandteil „Verpflichtung“ in „Dotationsverpflichtung“ muss man die Stadtpolitik manchmal erinnern.

Wenn Sie auf die Geschichte der katholischen Kirche in Frankfurt schauen: Was waren die größten Umbrüche und Neuerungen?
Die Situation der Kirche in meiner Kindheit war ganz anders als heute. Die Sozialdemokraten waren kirchenfern. Die Nazis waren kirchenfeindlich. Die Kommunisten waren kirchenfeindlich. Es blieb eigentlich nur die Zentrumspartei. Die öffentliche Stimmung war dadurch eigentlich klar geprägt. Aber die Katholiken in jener Zeit waren durchaus kämpferisch. Und als die Nazis dann kamen, waren die Katholiken ein Bollwerk gegen die Nazis. Wenn ich an die Fronleichnams-Prozession in jenen Jahren denke, da sind manche, die sonst mit der Kirche nichts zu tun haben wollten, mitgegangen, um zu demonstrieren und zu zeigen: Wir sind gegen die Nazis!
Und dann nach dem Krieg, das war ein Wiederaufleben des katholischen Lebens sondergleichen. Die Kirchen waren brechend voll. Diese Begeisterung für die Kirche, die gibt es heute nicht mehr. Heute läuft alles eher in ruhigen Bahnen. Und in Frankfurt werden wir heute in der katholischen Kirche immer internationaler, so wie die Stadt auch. Und das ist gut so.

Der Stadtkämmerer von Frankfurt am Main ist immer auch Kirchendezernent und zuständig für die Dotationskirchen. Was hat die Stadt selbst von der Dotationsverpflichtung?
Frankfurt war zwar immer freie Reichsstadt, immer Wirtschaftsmetropole und somit immer eine säkulare Stadt. Aber durch die jahrhundertelange Tradition der Kaiserwahl und der Kaiserkrönung gab es in Frankfurt immer schon die Verbindung zwischen Kirche und Krone. Selbst nach der Reformation war das so. Und wenn ich nicht falsch liege, gab es auch schon in früheren Jahrhunderten eine gewisse Verpflichtung der Stadtpolitik den kirchlichen Bauten gegenüber. Frankfurt hat sich da in guter Weise mit den Kirchen und der Religion arrangiert. Natürlich gab es dabei auch eigene Interessen der Stadt. Aber ich glaube die Verbindung zwischen Stadt und Kirche, wie wir sie in Frankfurt haben, ist für beide Seiten ein Gewinn. In dieser Hinsicht ist Frankfurt wirklich religionsfreundlich. Das ist in Frankfurt anders als in Hamburg oder Berlin.

Was wünschen Sie der Kirche von Frankfurt?
Nichts Spezielles. Die Frankfurter katholische Kirche hatte immer eine gewisse Vorreiterrolle. In Frankfurt waren eigentlich immer die „Links-Katholiken“ zu Hause. Schon in der Zeit vor dem ersten Weltkrieg waren die Frankfurter Katholiken etwas Besonderes. Hier waren wir immer sozial-katholisch und nicht konservativ. Walter Dirks zum Beispiel konnte nur in Frankfurt etwas werden (siehe Infokasten).

Was ist für Sie das Besondere an der Liebfrauenkirche?
Liebfrauen ist für mich und für viele Menschen in Frankfurt ein Stück Heimat. Der Dom ist das Fanal des katholischen Frankfurt. Betende Gläubige findet man eher in Liebfrauen. Und ich glaube, im Moment wird die Kirche auch sehr vermisst, weil sie wegen der Renovierung geschlossen ist. Und wenn Liebfrauen wiedereröffnet, bekommt Frankfurt ein Herzstück zurück.

Worauf sind Sie besonders gespannt, wenn die Liebfrauenkirche wiedereröffnet wird?
Erst einmal gehe ich davon aus, dass die Kirche wieder in neuen und hellen Farben erstrahlen wird. Darauf freue ich mich. Sie war ja zuletzt doch sehr verrußt. Und dann bin ich gespannt auf den Kreuzweg von Ludwig Becker aus den fünfziger Jahren. Ich habe den Künstler persönlich gekannt, geschätzt und bin oft mit ihm zusammengesessen. Ich kannte ihn schon aus der Vorkriegszeit – ein großartiger Gesprächspartner. Ich besitze auch ein Kunstwerk von ihm.

Gibt es irgendwas, was Sie Liebfrauen wünschen?
Viele Menschen! Aber die kommen ja sowieso. Und dann wünsche ich Liebfrauen, dass dort immer gute Seelsorger wirken – aber dafür garantieren ja die Kapuziner. Liebfrauen soll einfach das bleiben, was es immer schon war. Und Sie wissen ja: Manche Kapuziner sind, wenn sie von der Ordensleitung von Liebfrauen wegversetzt wurden, kurz darauf gestorben. Also, Sie bleiben am besten alle gleich hier!

Erschienen im Liebfrauenmagazin Sommer 2017

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