Es gibt den Menschen nicht ohne den Mitmenschen. Menschsein heißt immer: Mitmensch sein.
Ein Impuls von Br. Paulus Terwitte.
Der Mensch sei Bild Gottes. So wird es immer wieder gesagt. Damit verbunden: Der Mensch habe eine unverwechselbare Würde. Deshalb müsse er respektiert werden. Daraus folge auch, das, wie einer auch sei, mir aus ihm mir Gottes Schöpferkraft entgegenstrahle. Deshalb dürfe mich der Mitmensch auch beanspruchen. Seine Würde rufe mich auf zum liebevollen Handeln an ihn. Und umgekehrt ebenso: Meine Würde sei der Anspruch, den ich an jeden Menschen richte. Im Miteinander gebe es Rechte und Pflichten. Wunderbar, das so zu hören. Und Sie werden jetzt vielleicht auch denken: Zu wunderbar, um wahr zu sein. Deshalb gehe ich mit Ihnen einen Schritt weiter.
Ich bin nicht Ich-Allein
Der Mensch ist Bild Gottes. So habe ich begonnen. Ein Gott. Ein Mensch. Aber kaum habe ich vom Menschen gesprochen, muss ich schon von Mitmenschen sprechen. Respektieren. Lieben. Das gehört zum Menschsein. Daraus ergibt sich: Es gibt den Menschen nicht ohne den Mitmenschen. Mensch sein heißt eben nicht: Ich-Allein-Sein. Menschsein heißt immer: Mitmensch sein. Bevor einer „Ich“ sagen kann, hat ein anderer schon zu ihm „Du“ gesagt. Bevor jemand sagt: Ich bin wichtig! hat jemand anderer zu ihm gesagt: Du bist wichtig. Bevor ich Geborgenheit schenken kann, wurde mir Geborgenheit geschenkt.
Mehr als Selbstverwirklichung
Es heißt heutzutage verdächtig oft: Jeder muss sein Menschsein verwirklichen. Dabei ist von Selbstverwirklichung und Selbstoptimierung auch die Rede. Und auch, dass jeder seines Glückes Schmied sei. Doch das halte ich für grundfalsch. Wahr ist: Ich bin nicht, was ich aus mir mache. Ich bin aus dem, was andere in mir grundgelegt haben. Bin meine Geschichte. Meine Eltern. Ich bin meine Heimat. Und schon gar nicht habe ich mich selbst gemacht.
Gott? Nur mit mir!
Der Mensch ist das Bild Gottes. Wer von Menschen spricht, spricht automatisch von Mitmenschen. Kein Mensch ist ohne den anderen. Ich wird am Du. So formuliert es der jüdische Religionsphilosoph Martin Buber. Ich bin geworden durch meine Eltern. Durch die Welt, in der ich lebe. Und schließlich: durch den Gott, der diese Welt geschaffen hat. Ich bin geworden und werde immer mehr Ich durch den Ruf des Lebens, der durch Gott an mich erging und weiter ergeht. Durch Gott bin ich Ich. Ich und Gott, das ist eine Gemeinschaft. So sehr, dass Gott ohne Mich nicht „richtig“ Gott wäre. Oh, darf man das denken? Ich sage bewusst: Ja, ich will so denken. Ich habe erfahren, dass es richtig ist, so zu denken.
Gott geht nur gemeinsam
Der Mensch ist Bild Gottes. Darauf folgt: Wenn der Mensch nur als Mitmensch zu verstehen ist; wenn der Mensch nie allein Mensch sein kann; und wenn dieser Mensch Bild Gottes ist, dann muss auch Gott ein Gott sein, der nur als Mitgott zu verstehen ist; der nie nur allein für sich Gott sein kann; der unbedingt aus sich und wesenhaft ein Bild wollte, oder besser: haben musste. Und brauchte. Etwas, was ganz anders ist als er selbst. Der Franziskanertheologe Johannes Duns Scotus formulierte: Gott wollte Mitliebende, als er die Schöpfung schuf. Weil Gemeinschaft ein Wesenszug Gottes ist.
Gott, die heilige Dreifaltigkeit
Die figürliche Darstellung in unserer Kirche, der Vater, Sohn und der Heilige Geist, der Vater mit dem langen Bart, der Sohn mit dem Kreuz, der Heilige Geist, die Taube, das hat schon viele Menschen verwirrt. Als sähe Gott so aus. Oder könnte man sich Gott heute so vorstellen. Oder müsste es gar. Richtig daran ist: Gott ist eine Dreiecksgeschichte. Das gleichschenkelige Dreieck, vielleicht noch mit einem Auge darin. Drei Kreise, die ineinander kreisen. Drei Blüten einer Blume. Viele Bilder wurden gefunden, um das trinitarische, das dreifaltige Geheimnis Gottes auszudrücken. Immer geht es darum, zu sagen: Das eine Geheimnis Gottes ist nicht ein einsames Mysterium. Im Geheimnis Gottes findet sich Kommunikation, Bewegung. Und ich ergänze aus meiner persönlichen Gotteserfahrung heraus: In Gott ist auch Tanz. Aufmerksamkeit füreinander. Ein liebevolles Sich-einander-zuwenden. Ich kann mir Gott nicht vorstellen wie einen leblosen Klotz.
Bewegt werden vom Dreifaltigen Gott
Der Mensch ist Bild Gottes. Meine Mutter hat mich ungläubig angeschaut, als ich ihr mitten im Theologiestudium begeistert erzählt habe, dass ich nun bewusst an einen dreifaltigen Gott glaube. Dass der Herrgott im Himmel, von dem sie immer sprach, eigentlich Bewegung ist. Ich glaube nicht an einen Herrgott, so habe ich sie provoziert. Sprich du auch nicht mehr nur von einem Herrgott. Und ich habe gespürt: Das konnte sie nur sehr schwer nachvollziehen. Merkwürdig, wie die westliche römisch-katholische Kirche den dreifaltigen Gott so hintangestellt hat.
Die Kirche: Spiegel Gottes
Ich habe im Studium die orthodoxe Theologie kennengelernt. Die Gesänge, die Ikonen, der Weihrauch, die langen Liturgien; dort wird der Glaube an den heiligen Gott, der uns bewegt, der uns in sein unendliches Leben aufnimmt, der mit uns tanzen will, der Gott, der mit uns leidet, der mit uns in den Tod steigt und der uns wieder hinaufzieht ins göttliche Licht, intensiv gefeiert. Und ich wurde aufmerksam, dass auch unsere Liturgie voll ist von Bezügen zum Glauben an den Dreifaltigen Gott. Ein Gott, der Gemeinschaft will.
Der Kirchenvater Gregor von Nyssa schreibt: Die Kirche ist ein Spiegel des dreifaltigen Gottes. Eine schöne Idee. Ich stelle mir vor: Wenn wir in der Liebfrauenkirche versammelt sind, dann freut sich Gott und erkennt sich wieder.
Gottes Bewegung zulassen
Der (einzelne) Mensch ist Bild Gottes? Nein, die Menschen (Plural!) sind Bild Gottes. Die ganze Schöpfung ist Bild Gottes. Miteinander und Zusammengehörigkeit ist eine göttliche Wirklichkeit. Aus ihr erwächst soziale Kompetenz – wer glaubt, wird sich dem Nächsten zuwenden. Will sich der Schöpfung zuneigen. Will den dreifaltigen Gott in sich spielen lassen. Etwa in Gebeten wie diesen: Bete in mir, Heiliger Geist. Atme in mir, Heiliger Geist. Führe mich zum Vater, Christus. Vater, erschließe mir die Liebe des Sohnes. Hauche mir den Heiligen Geist ein. Viele Gebetsformeln kenne ich, die mich bewegen. Sie erlösen mich aus meiner Tendenz, nur noch für mich sein zu wollen, nur noch allein sein zu wollen, mich abwenden zu wollen aus vielen noch so guten Gründen von der Welt, von meinen Mitmenschen.
Verbunden lieben
Ein letztes Mal: Die Menschen sind Bild Gottes. Die Gemeinschaft des dreifaltigen Gottes ist für mich immer neu ein Anlass, die Gemeinschaft von Menschen zu suchen. Mit Bedürftigen meine Bedürftigkeit zu erkennen, mit zufriedenen Menschen meine Zufriedenheit, mit trauernden Menschen meine Traurigkeit. Wenn es für den Christen, der in den dreifaltigen Gott durch die Taufe eingefunden ist in das göttliche Leben, einen Wallfahrtsort gibt, dann ist das der Mitmensch. Die Mitschöpfung. Den dreifaltigen Gott anbeten heißt: Diese Verbundenheit achten und sich von ihr bestimmen zu lassen.
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