“…et amare videre est”, “…und lieben heißt sehen”. Ein Impuls von Br. Bernd Kober.
Das Geheimnis der Eucharistischen Anbetung
Was wohl ein Außenstehender denken mag über diese Szene: Da knien Menschen, die Hände gefaltet, vor einem goldenen, kirchturmartigen Gefäß mit einem Glaszylinder. In diesem Glaszylinder befindet sich eine runde weiße Scheibe, eine Oblate. Und die Menschen schauen still, sprechen Gebete und sind gesammelt. Es duftet nach Weihrauch. Neben der Tür des Raumes, in dem das geschieht, steht: Anbetungskapelle. Was geschieht hier eigentlich täglich elf Stunden lang bei der sogenannten Eucharistischen Anbetung?
Das liebende Auge sieht tiefer
„Amor oculus est, et amare videre est“, formuliert der Augustinerchorherr Richard von St. Viktor im 12. Jahrhundert. „Die Liebe ist Auge, und lieben heißt sehen“. Das liebende Auge sieht tiefer. Das gilt schon im menschlichen Bereich. Ob ein anderer Mensch hässlich oder schön ist, entscheidet sich nicht an oberflächlichen Maßen und scheinbaren Schönheitsidealen. Menschen, die einander liebend anschauen, entdecken mehr, als die Augen äußerlich sehen. Eine Person wird im liebenden Blick sichtbar, ein Mensch mit einer Geschichte, mit Eigenschaften und Talenten, mit einer bestimmten Art zu begegnen, zu sprechen, den anderen zu berühren. Der liebende Blick ist ein tiefes Empfangen und Erkennen. Nicht ohne Grund gebraucht die Heilige Schrift das Wort „erkennen“ als ein Wort, das die tiefe Begegnung zweier Menschen bezeichnen kann – bis hin in den Bereich intimer Liebe und sexueller Hingabe. Das liebende Sehen ist Beziehung und tiefe Gemeinschaft mit dem Du.
Im verwandelten Brot ist Christus gegenwärtig
Menschen beten vor dem Brot, das in der Feier der Eucharistie zum verwandelten Brot wird: in diesem Brot ist Jesus Christus lebendig gegenwärtig. Er ist so gegenwärtig, wie er im Abendmahlssaal gegenwärtig war und das Brot als Zeichen seiner Gegenwart eingesetzt hat. Er ist so gegenwärtig, wie er im Abendmahlssaal als einer da war, der nicht bedient werden will, sondern der dienend und kniend seinen Jüngern die Füße gewaschen hat. Er ist gegenwärtig als der, der nicht aus einem „Für-Mich“ sondern aus dem „Für-Euch“ lebt – und darin die Wirklichkeit des Reiches Gottes aufstrahlen lässt mitten in dieser Welt. Der liebende Blick erkennt in der einfachen Hostie diesen gegenwärtigen Christus. So schauen und beten Menschen kniend vor dem lebendigen Christus und suchen die tiefe Gemeinschaft mit ihm.
Der erste Schritt beginnt mit Gott
Dass dies erst der zweite Schritt in diesem Geschehen ist, deutet sich hier an. Denn bevor Frauen und Männer den Weg machen in die Anbetungskapelle, ist das erste bereits geschehen: Gott hat sich hingekniet und seine Augen auf diese Welt und jeden einzelnen Menschen gerichtet. Jesus ist der Menschensohn, der menschgewordene Sohn Gottes. In den Augen Jesu ruht Gottes wohlwollender und menschenfreundlicher Blick auf seiner Schöpfung und auf seinen Menschen. Die suchende Frage Gottes in der Genesis „Adam, wo bist du?“ wird Gestalt in Jesus, der auf die Suche geht nach seinen Schwestern und Brüdern. Nicht wie einst Adam und Eva soll der Mensch sich angstvoll verstecken müssen, weil er sich vergreift in der Suche nach den Dingen, die Leben und Erfüllung schenken – vielmehr soll er in den Augen Jesu Halt und Zuwendung finden und alle Angst ablegen dürfen. Lieben heißt sehen – und in der Erwiderung dieser Liebe bedeutet es: sich-zeigen-dürfen.
Anbetung ist das geöffnete Auge, das Gottes Geschenk erkennt
Gott macht sich klein, kniet sich in Jesus Füße waschend vor den Menschen, kniet sich hinein in die Nächte des Menschseins, wenn Jesus sich in der Nacht vor seinem Sterben niederwirft und betend ringt, alle menschliche Not und Angst durchlebt und sich seinem Vater immer noch tiefer anvertraut. Bevor ein gläubiger Christ jemals gekniet hat, hat Gott selbst sich klein und schwach gemacht vor uns und für uns. Wer in unserer Anbetungskapelle niederkniet und schaut und betet, tritt ein in diesen Raum, in dem Gott da ist und sich einfach schenkt. Einfach und klar ist Er da. Jede und jeder kann eintreten. Nichts ist zu leisten, nichts dazu zu tun, nichts mitzubringen. Anbetung ist Antwort. Anbetung ist das geöffnete Auge, das Gottes Geschenk erkennt – und das dabei sich selbst ohne Angst und durch Fassaden hindurch immer tiefer erkennen darf. Wir machen uns nicht würdig, vor ihn treten zu dürfen, weil wir dies und jenes tun – er hat uns längst würdig gemacht. Wenn wir glauben, über unsere Antwort hinaus etwas leisten zu müssen, das uns noch „würdiger“ macht, ist dies Vermessenheit. „Jedesmal wird es deiner Seele gut tun“, schreibt Romano Guardini, in den Raum der nicht zu verdienenden Liebe einzutreten.
Mit Guardini können wir beten:
Immerfort empfange ich mich aus deiner Hand. Das ist meine Wahrheit und meine Freude. Immerfort blickt dein Auge mich an, und ich lebe aus deinem Blick, du mein Schöpfer und mein Heil. Lehre mich, in der Stille deiner Gegenwart das Geheimnis zu verstehen, dass ich bin. Und dass ich bin durch dich und vor dir und für dich.
Begegnungen und Freundschaften prägen. So kann uns auch die Begegnung mit Jesus Christus in der Anbetung prägen und gestalten. Am liebevoll geöffneten Blick erkennt man den Menschen, der zu Christus gehört. Wer die Anbetungskapelle wieder verlässt, behält immer mehr diesen geöffneten Blick des Menschensohnes – für sich selbst, für die Menschen, für die Schöpfung. Das schafft Raum, die Realität zu sehen und ihr zu begegnen im Geist dessen, der immer neu fragt: „Mensch, wo bist du?“ – und der uns zusagt „Ich bin da.“