“Geht’s noch, Gott?”
Antworten auf große Fragen

Br. Paulus im Interview über sein neues Buch “Geht’s noch, Gott?”.

Der Kapuziner Paulus Terwitte ist Prediger, Therapeut, Seelsorger, Autor, Sprachkünstler, Dichter, Moderator, Coach und Manager. Gerade hat er ein Buch veröffentlicht zu Fragen des Alltags: „Geht’s noch, Gott?“ heißt es. Mit 19 Jahren, gleich nach dem Abitur, trat er in den Orden ein. Andrea Seeger von der Evangelischen Sonntags-Zeitung hat mit ihm gesprochen über den Glauben, den Zweifel und das Gute bei Protestantinnen und Protestanten.

BR. PAULUS IM INTERVIEW MIT ANDREA SEEGER

Die Kapuziner waren noch ärmer als die Franziskaner, oder?
Die Armutssituation war sicher mal ein sehr großes Thema in den Orden. Das ist heute nicht mehr so. Ich hatte die Kapuziner kennengelernt ein Jahr, nachdem mir klar geworden ist, dass das Christentum ein Freiheitsweg ist, dass er mich wegführt aus den Zwängen von Biologie und Biografie und mich hinführt zu dem Originalmenschen, diesem Jesus. Und ich wollte so ein Originaler werden. Das war bei einem Jugendwochenende. Abends habe ich gesagt: Hier bleibe ich. Das war Liebe auf den ersten Blick.

Es handelt sich um einen sogenannten Bettelorden. Sie sitzen aber nicht auf der Zeil, Frankfurts Fußgängerzone, und hauen Passanten um einen Euro an, oder?
Der Bettelorden geht zurück auf Franziskus von Assisi. Viele Menschen nahmen an, dass gutes Wirken und Unversehrtheit mit Gottes Segen Reichtum bringt, so dass der Mensch am Ende niemanden mehr braucht. Assisis große Inspiration war dagegen, dass göttlich ist, wenn ich fähig werde, zu einem anderen zu sagen: Ohne dich kann ich nicht sein, ich brauche dich. Die franziskanische Armut ist ein franziskanischer Reichtum, nämlich die Erkenntnis: Ohne den anderen bin ich nichts.

Sind Sie ein toleranter Mensch, Bruder Paulus?
Ja, nur nicht gegen Intolerante. Ich kann weit denken und weit mitgehen, sehe aber auch Stoppschilder, zum Beispiel bei Rücksichtslosigkeit. Ich habe ein Fundament – Toleranz kommt ja von tolerare: tragen können – und von da aus kann ich relativ ruhig in die Welt reingucken. Wer kein Fundament hat, den nennt man merkwürdigerweise Fundamentalist. So einer ist die ganze Zeit damit beschäftigt, sich zu verteidigen.

Das Allerwichtigste im Leben ist die Stille. Warum?
Die Stille ist der Anfang des Staunens, sie macht demütig. Stille kann unheimlich werden, weil sie so viel in einem weckt. Das ist ein sehr herausfordernder Ort, den man erst mal aushalten muss. Man muss den Aus-Knopf in dieser aufgeregten Welt erst mal finden. Nicht ist schöner als die Stille, weil man intensiver fühlt, intensiver denkt, intensiver traurig ist, intensiver glücklich ist.

Wandlung bedeutet auch Schmerz, sagen Sie. Warum tut das weh?
Ich muss abbrechen, was ich gewohnt bin. Das Wort Gewohnheit bezeichnet den Abschnitt, in dem ich wohne, in meinen Gewohnheiten. Ich kann den Arm noch heben und senken, die Finger bewegen. Dann kommt die Arthrose und es ist vorbei. Mein Körper ist dann nicht mehr der Ort, den ich kenne. Ich muss neue Gewohnheiten entwickeln. Manche Menschen erleben das als Vertreibung. Aber was ist das Urbild vom Leben? Für mich die Raupe und der Schmetterling. Auch ich krieche manchmal herum und hoffe, dass bald ein Schmetterling herausfliegt, der neue Perspektiven bringt. Auch ein 94-Jähriger, der mit seinem Rollator nur noch fünf Minuten gehen kann in seiner betreuten Wohnanlage, kann noch lächeln oder Leute einladen. Auch, wenn man nur noch seine Augenlider bewegen kann, kann man Freude bereiten. Jeder Mensch ist eine Kreativitätsagentur des Heiligen Geistes.

Sie empfehlen, aus dem Warum (ist das passiert?) ein Wozu (soll ich mich öffnen?) zu machen. Wollen Sie damit ausdrücken, dass in jedem Schicksalsschlag auch eine Chance steckt?
Ja, so ist das. Orientierung heißt das Zauberwort. Da steckt das Wort Orient drin, das ist der Osten, da geht die Sonne auf. Wenn ich mich orientiere, dann weiß ich, dass nach jedem Untergang ein Aufgang kommt.

 

 

Gott will das Beste für mich – das aber ist nicht immer so, wie ich mir das vorstelle. Es ist trotzdem gut, finden Sie. Warum?
Wir müssen lernen, die Tränen, die Trauer, die Aggression, den Ärger über das, was jetzt gerade passiert, ernst zu nehmen und nicht wegzupacken. Das Leben ist wie eine Achterbahn. Wenn ich Trauerfeiern halte, auf Beerdigungen bin, erlebe ich andere Kulturen, die können das richtig toll. Wenn so eine Community vorbeikommt, da geht die Post ab, die Menschen klagen, schreien und jammern in ihrer Trauer. Ich freue mich daran, da ist Leben in der Bude.

Sie selber haben eine sehr konkrete Idee für Ihren Ruhestand: Sie möchten jede Woche am selben Tag zur selben Zeit dieselbe Runde über den Frankfurter Hauptfriedhof drehen, sich um drei verwahrloste Gräber kümmern und ansonsten warten, was da so kommt. Was erhoffen Sie sich?
Ich glaube an Riten. Wenn ich immer am selben Tag zur selben Zeit dieselbe Runde drehe, werde ich Leute finden, die das auch machen. Irgendwann werden wir uns in den Blick nehmen und zusammen Kaffee trinken. Nichts ist gemeinschaftsstiftender, als sich zu finden in dem, wo alle das Gleiche tun – sei es im Fitnessstudio, in der Kirche oder eben auf dem Friedhof. Da in der Trauer das Leben am lebendigsten ist, weil es dann am ehrlichsten ist, erhoffe ich mir neue aufrichtige Bekanntschaften, die mir helfen, neue Perspektiven zu entdecken und Überraschungen zu erleben.

Sie möchten, dass Menschen so wie Sie als Glücksdetektive durch die Welt gehen. Was verstehen Sie darunter?
Viele Menschen sagen heute: Ich habe fertig. Nichts ist schrecklicher als das. Sie gehen zum Beispiel aus dem Haus, um Gänseblümchen zu finden. Es sind aber leider nur Stiefmütterchen da. Dann gehen sie traurig nach Hause, weil sie nicht fanden, was sie erwartet hatten. Andere erwarten von ihren Enkeln, dass sie so und so oft anrufen, dieses und jenes schreiben oder machen. Sie sind die ganze Zeit enttäuscht, wenn das nicht passiert. Dabei übersehen sie, dass das Enkelkind schon drei Mal gefragt hat: „Oma, willst du nicht ein Smartphone haben?“ Was Oma brüsk abgelehnt hat, statt zu erkennen, dass das der Weg des Enkelkindes zu ihr wäre.

Mit 19, als Sie ins Kloster gingen, fanden Sie sich schon ein bisschen besser als andere. Sie bezeichnen das als Überheblichkeit. Sind Sie heute weniger überheblich?
Mich selber als überheblich zu bezeichnen, fällt mir schwer wie es allen Menschen schwerfällt. Wir halten uns ja alle für superreflektiert, in unseren Überzeugungen gefestigt. Ich glaube, dass der Zweifel, den ich in meinem Leben habe, an dem, wovon ich überzeugt bin, mich immer auf die Spur gesetzt hat, weiterzufragen und weiterzusuchen. Andere halten mich natürlich für überheblich. Wenn ich im Ordensgewand durch die Stadt gehe, ist das ein Statement. Wenn ich im Fernsehgottesdienst zu sehen bin, ist das ein Statement. Da stehe ich dann, als hätte ich die Wahrheit gefressen. Aber wir feiern diese Wahrheit wie auch eine Familie einen Geburtstag feiert, obwohl es sehr viele Argumente gibt gegen den Papa oder den Opa – aber wir feiern eine Zusammengehörigkeit.

Was gefällt Ihnen am Protestantismus?
Ich habe sehr gerne mit meinen evangelischen Kolleginnen zusammengearbeitet, sechs Jahre in der Klinikseelsorge in Gera. Wir waren zutiefst überzeugt, dass es Hoffnung gibt für die Menschen, auch wenn viele dort das nicht annehmen konnten. Sie haben eine tiefe spirituelle Grundlegung, die in einem sehr persönlichen Verhältnis zu diesem Jesus von Nazareth verwurzelt ist und eine klare Entschiedenheit, Glaube und soziales Handeln in Einklang zu bringen. Die Telefonseelsorge in Gera wurde gegründet von der Freikirche, die Notfallseelsorge kommt aus der evangelischen Welt. Da ist eine größere Selbstverständlichkeit, karitativ tätig zu werden. Da war ich immer begeistert.

Das Interview ist erstmalig in der Evangelischen Sonntags-Zeitung erschienen.

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