Der Schlüssel zum Verstehen. Messe in leichter Sprache in Liebfrauen
Ein Beitrag von Stefan Maria Huppertz OFMCap
Die Kapuziner in Liebfrauen in Frankfurt am Main bieten eine Messe in Leichter Sprache an
Der Glaube kommt vom Hören (Röm 10,17). Höre, Israel ! (Dtn 6,4).
Die beiden Zitate erzeugen einen heilsamen Druck. Genau wie die Definition Karl Rahners von der Bedingtheit christlicher Existenz durch das Hören des Wortes. Hören ist das eine. Verstehen das andere.
Wer isländische oder gälische Volksmusik aufgrund der Melodieführung gerne hört, muss die Texte nicht verstehen. Beim Wort Gottes ist das anders. Es geht nicht um ein Sich-Berieseln-Lassen, sondern um aktive Aufnahme, es geht um Verarbeitung und es geht um einen inneren Wandlungsprozess durch die Auseinandersetzung mit dem Gehörten. In den Sakramenten gehen wir von der Wirkmächtigkeit des Wortes aus. Das Wort wirkt von sich aus, hier genügen Bereitschaft und Offenheit des Gegenübers. Das scheint auf Sakramente exklusiv determiniert zu sein. Jedes andere Wort ist auf das Verstehen angewiesen, um wirksam sein zu können. Das gilt für die Straßenverkehrsordnung und für Kochrezepte. Das gilt für das Wort des Lebens, das in der Liturgie gefeiert, in Lesung und Evangelium verkündet, mit den Schwestern und Brüdern geteilt und in der Predigt ausgelegt wird.
Liturgie und Alltag
Das sich liturgische Sprache von alltäglicher Sprache unterscheidet, scheint im Prinzip richtig zu sein. Banalisierung birgt in der Regel die Gefahr einer Relativierung mit Selbstabschaffungstendenz. Wir feiern etwas Erhabenes, das aus dem Alltag herausragt und unsere Herzen und den Verstand zu Gott erhebt.
Mit Schrecken denke ich an miterlebte – manchmal nur knapp überlebte – Kindergottesdienste zurück. Hier wurde von Priestern, Gemeindereferenten / -referentinnen und anderen das Evangelium so lange gewaltsam banalisiert, bis am Ende das Bild eines Jesus übrig blieb, der ganz nett, offenbar etwas zurückgeblieben und sehr bemitleidenswert auf der Suche nach Fremden war. Das, was wir in der Liturgie glaubend feiern, ist nicht leicht und banal. Es ist auch nicht leicht verständlich und nicht leicht verständlich zu machen. Trinität und Transsubstantiation lassen sich schlecht aus der Alltagswelt herleiten. Hier stieße vermutlich selbst die Sendung mit der Maus an ihre Grenzen. Und doch muss es irgendwie gelingen. Der Moraltheologe Klaus Demmer war mein geistlicher Begleiter während meiner Studienzeit in Münster. Ein hochgebildeter und tiefgeistlicher Ordensmann und Priester, der auf jahrzehntelanges wissenschaftliches Arbeiten und lange Lehrtätigkeit an der Gregoriana zurückblicken konnte. Ein Diktum von ihm ist mir in diesem Zusammenhang sehr präsent: “Der wirklich Gebildete kann sich einfach ausdrücken. Alles andere ist Pfauengehabe”. Was für ein Aufruf zu Gottesdiensten in Leichter Sprache!
In der Tradition von Liebfrauen
In Liebfrauen entstand die Idee zu diesem Format bei einem Brainstorming mit Ehrenamtlichen. Das Format Familiengottesdienste wird in der Frankfurter Innenstand hervorragend an der Jesuiten-Kirche St. Ignatius abgedeckt. Hier wäre ein Konkurrenzangebot in der gleichen Großpfarrei absolut kontraproduktiv (das gilt übrigens auch außerhalb Frankfurts). In Liebfrauen haben inkludierende Gottesdienste eine lange Tradition. Zusammen mit dem Verein Lukas 14, der vor vielen Jahren vom Kapuziner Amandus Hasselbach gegründet wurde, feiern wir mehrmals im Jahr sonntäglich Gottesdienst mit Gebärdendolmetscher. Diesen inkludierenden Charakter wollen wir am Kirchort mitten in der Frankfurter Innenstadt verstärken. An kirchlicher und liturgischer Sprache verzweifeln mitunter selbst Insider. Das Phrasenschwein wird mancherorts mit “gleichsam” oder “wir sollten doch alle neu…” eifrig gefüttert. Manchmal sagen viele Worte wenig. Manchmal sagen Worte Wesentliches, bleiben aber unverstanden. Für Menschen mit Behinderung, eingeschränkter kognitiver Aufnahmefähigkeit, fremder Muttersprache, für Kinder und Menschen mit anderen Hörgewohnheiten bleibt die Schatztruhe des Wortes dabei fest verschlossen. Leichte Sprache will ein Schlüssel sein.
Übersetzungsarbeit für neuen Zugang
Durch die Beschäftigung mit diesem Thema tat sich für mich eine neue Welt auf. Ich begann zu verstehen, für wie viele Menschen Leichte Sprache alternativ und absolut wichtig ist. Bundesbehörden und andere öffentliche Einrichtungen sind schon lange dazu verpflichtet, wichtige Inhalte in Leichter Sprache zur Verfügung zu stellen. Vorbildlich lässt der Bischof von Limburg seine Hirtenbriefe in Leichter Sprache übersetzen. Und es handelt sich wirklich um Übersetzungsarbeit. Viele Menschen, die mit uns in der internationalen Messestadt Frankfurt Gottesdienst feiern, scheitern an der Sprachbarriere. Für echte Communio, für eine Feier von Schwestern und Brüdern kaum zu ertragen. Alls das motivierte zum Format “Messe in Leichter Sprache”, die wir seit Januar monatlich in der Liebfrauenkirche feiern. Und zwar nicht am Rande, sondern in der 11-Uhr-Messe. Einerseits zeigen wir damit, dass wir sehen und verstehen, dass es für viele wirklich mühsam ist, den Gottesdienst in deutscher und liturgischer Sprache mitzufeiern. Andererseits erleben wir, dass dieses Format auch vielen anderen, die nicht unbedingt auf die Übersetzung angewiesen wären, einen neuen Zugang ermöglicht. die Rückmeldungen sind durchweg positiv.
Elementar statt banal
Leichte Sprache zu elementarisieren. Das darf nicht mit banalisieren verwechselt werden. Leichte Sprache arbeitet in kurzen Sätzen den Kern heraus, sie verzichtet auf Bibelworte und Negationen. Im offiziellen Gebrauch sind die Regeln für Leichte Sprache sehr anspruchsvoll – eine Bebilderung der Sätze gehört beispielsweise zwingend dazu. Im Gottesdienst, im Glaubensleben geht es um das gesprochene Wort. Da sind die Regeln großzügiger. Im Tagesgebet und den anderen Präsidialgebeten genügt es oft schon, ein Komma durch einen Punkt zu ersetzen. Die Sonntagsevangelien in Leichter Sprache liegen vom Katholischen Bibelwerk bereits als eigene Lektionare für alle drei Lesejahre vor. Die Lesungen müssen jeweils in echter Handarbeit übersetzt werden. Das nehme ich jeweils zum Anlass, mich in die Leichte Sprache einzufinden, in der ich dann auch die Predigt verfasse. In der Regel predige ich in Werktags- und Sonntagsmessen frei, gelegentlich mit einem Stichwortzettel. Predigten in Leichter Sprache jedoch muss ich vorher komplett ausformulieren und mehr oder weniger ablesen. Drei-Wort-Sätze und schnörkellose Sprache haben fast fremdsprachlichen Charakter. Da ist ist die Gefahr groß, in die vermeintlich normale Sprache zu rutschen.
Präfation und Hochgebet orientieren sich am approbierten Hochgebet für Messen mit Gehörlosen. Auch hier machen ein paar Punkte viel aus. Manche werden es von Fremdsprachen kennen: Die ersten Sätze sind etwas holprig, danach geht es ganz gut. Diese Erfahrung gilt auch für die Leichte Sprache. Wenn Sprechende und Hörende das “Instrument Leichte Sprache” nach kurzer Zeit nicht mehr bewusst wahrnehmen, sondern ganz beim Inhalt sind, eröffnet sich das Geheimnis des Glaubens, wird der Mensch durch das Wort erreicht und der Glaube gestärkt.
Das Geheimnis Gottes wirkt
Leichte Sprache nimmt der Liturgie nichts von ihrer Mystik. Leichte Sprache ermöglicht es Mitfeiernden vielmehr neu, diese Mystik auf sich wirken zu lassen. Auch in Leichter Sprache bleibt der Mensch vor dem Geheimnis Gottes stehen. Ein Geheimnis jedoch unterscheidet sich genuin vom Unverständnis, vom Nicht-Verstehen. Nicht-Verstehen frustriert. Das Geheimnis eröffnet den Raum für gläubiges Staunen und weiterführendes Fragen.
Derzeit überlegen wir, Einführungen in die Feste des Kirchenjahres und eine mystagogische Kirchenführung als Videoclips zu produzieren und somit einer größeren Hörerschaft zur Verfügung stellen zu können.
Der Apostel Petrus ermuntert Christinnen und Christen: “Seid bereit, jedem Antwort zu geben, der nach dem Grund eurer Hoffnung fragt.” (1 Petr 3,15) Am besten doch wohl so, dass die Fragenden die Antwort verstehen und die Antwortenden sich nicht hinter kunstvollen Wortkonstruktren verbergen. Leichte Sprache – eine echte Chance für Hörende und Verkündende!
Viele Menschen scheitern an der Sprachbarriere. Für echte Communio, für eine Feier von Schwestern und Brüdern kaum zu ertragen. Stefan Maria Huppertz OFMCap
P. Stefan Maria Huppertz, Jahrgang 1977, ist seit 2002 Kapuziner und arbeitet als Kapitelbegleiter, Coach und Organisationsentwickler. Seit Herbst 2018 ist er Rektor der Liebfrauenkirche in Frankfurt am Main.