SAKRAMENT DER BEICHTE:
HEIMAT IN GOTT
UND IN MIR
… ein Impuls von Br. Jens Kusenberg

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SAKRAMENT DER BEICHTE: HEIMAT IN GOTT UND IN MIR … ein Impuls von Br. Jens Kusenberg

DAS FREMDE WIRD AUFGEHOBEN UND DER MENSCH KOMMT ZU SICH. WELCHE WUNDERBAREN CHANCEN DAS SAKRAMENT DER BEICHTE BIETET, SCHREIBT DER KAPUZINER BR. JENS KUSENBERG IN SEINEM IMPULS.

„Eigentlich bin ich ganz anders, aber ich komme so selten dazu“, so lässt der österreichische Dichter Ödön von Horváth eine junge Frau in seinem Stück Zur schönen Aussicht sagen. Dieser fast hundertjährige Satz  ist zu einem Weltgefühl geworden: Eigentlich bin ich ganz anders. Eigentlich will ich anders sein und leben, aber ich komme so selten dazu. Weil Anforderungen von außen & innen mich daran hindern, dass zu tun, was ich eigentlich vorhabe und der/die zu sein, der/die ich im Innersten bin. Helden werden die, die sich trauen, so zu sein, wie sie es möchten. Nicht wie andere sie haben wollen.

… den Preis, den wir für unser Leben zahlen …

In den postmodernen Gesellschaften des Westens sind die Menschen nicht mehr Systemen wie der Familie oder der Schicht zugeordnet. Alle erhalten prinzipiell Zugang zu allen Systemen. Arbeiterkinder können studieren. Akademikerkinder können Landwirtschaft betreiben. Der Preis für diese soziale Durchlässigkeit ist der Verlust einer tragenden Heimat. Wir sind auf uns selbst gestellt. Der Mensch kann verschiedene Rollen übernehmen, die unverbunden nebeneinanderstehen: Sonntags kann ich in die Kirche gehen, montags spiele ich Fußball, dienstags hinterziehe ich Steuern etc.

Diese nie dagewesenen Entfaltungsmöglichkeiten können aber zu Überforderung führen. In unserer hochdifferenzierten Gesellschaft gibt es große Autonomie für jede(n); Freiheiten, die sich unsere Urgroßeltern nicht hätten vorstellen können (vgl. Schaupp, 2011, S. 31ff). Der Preis, den wir dafür zahlen, ist Verunsicherung, denn für alle Entscheidungen ist jeder und jede allein verantwortlich: „Dem Einzelnen wird also auf allen möglichen Kanälen, sei es beim Vorstellungsgespräch, in der Werbung, durch verschiedenen Medien […] eingeimpft, dass er selbst daran schuld ist, wenn er nicht perfekt oder zumindest „besser“ ist, die Mittel stünden ja zur Verfügung“ (Zit.: Wiedenhaus, 2010, S. 64).

Immer wieder steht der heutige Mensch vor der Herausforderung sich im Angesicht dieser Welt zu erfinden und eben „besser“ zu werden. Das kann Angst machen und ihn von sich entfremden, denn vielleicht kann man in manchen Dingen gar nicht besser werden! Man läuft ständig im Hamsterrad der Selbstoptimierung ohne von der Stelle zu kommen.

… ein Sakrament, das mich nach Hause bringen möchte …

Die Beichte ist ein Sakrament, das dieses Lebensgefühl aufnimmt. Es ist ein Sakrament, das uns nach Hause bringen möchte. Deshalb geht es nicht zuallererst darum moralische Mängel, Fehltritte oder darum, Fehler zu bekennen. Die Kirche ist keine moralische Besserungsanstalt für Menschen, die im täglichen Kleinklein von Arbeit, Familie oder Partnerschaft Fehler machen.

Beichte dient dazu, dass der Mensch sich wieder vor Gott stellen kann. Er ist geliebtes Geschöpf. Es geht nicht um Optimierung oder Rollenspiele. Es geht um Menschwerdung. In der Beichte darf ich der/die werden, der/die ich im tiefsten Herzen bin. Man kommt dazu, anders zu werden. Nicht mehr auf das zu hören, was die Welt von mir will, sondern was der barmherzige Vater durch seinen auferstandenen Sohn gesagt hat: Die Wirklichkeit des Reiches Gottes, also Glaube, Hoffnung, Liebe, Gerechtigkeit und Frieden sind bereits in der Welt. Oftmals bedroht und nur bruchstückhaft, aber real gegenwärtig. Dafür kann ich in der Beichte danken und damit zu mir und nach Hause kommen. Dorthin, wo meine Sehnsüchte nach Ganz-Sein erfüllt werden. Auf dem Weg dahin gibt es immer wieder Stolperfallen und ich mache manche Dinge falsch. Im Angesicht des barmherzigen Gottes werde ich aber erst fähig, mir und ihm das alles einzugestehen.

… wieder ich selbst werden dürfen …

Ohne seine Barmherzigkeit wäre ein ehrliches Bekenntnis nicht möglich, weil wir uns ja doch lieber als Perfekte sehen wollen. Ich darf bekennen, was in mir ist und was gegen das Reich Gottes spricht. Kardinal Martini fasst es so zusammen: „Auch hier sind wir – ich wiederhole es – umso mehr wir selber vor Gott, je konkreter wir sind, und zwar nicht in einem negativen Sinn, indem wir uns voll Bitterkeit anklagen, sondern voll Dankbarkeit, indem wir sagen: Siehe Herr, das bin ich, das ist das Material, über das du verfügst, das sind die Bausteine deiner Kirche; sie sind schmutzig, schlecht geschliffen, eckig, stumpf. Ich wollte, es wären andere, aber Herr, ich bringe sie vor dein Angesicht, denn ich weiß, dass du barmherzig bist“ (Martini, 1981, S. 90).

Die Entfremdung wird in der Beichte aufgehoben, weil ich zu mir kommen darf, auch mit all dem Dunklen. In dem Glauben, dass Gott in seiner Barmherzigkeit sogar mit den Bruchstücken etwas bauen kann. Das hat nichts mit Selbstoptimierung und einer kleinen, moralischen Besserung zu tun. Sondern mit Heimat: Ich finde sie in Gott und in mir, so dass die Welt nicht fremd ist, sondern der Ort, in den ich heimkomme. „Eigentlich bin ich ganz anders, aber ich komme so selten dazu.“ Ja, das ist oft so. Aber in der Beichte haben wir die Chance dann und wann anders zu werden. Nämlich wir selbst.

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